„Geschenke auf Rezept“ – Bestechung des niedergelassenen Vertragsarztes aufgrund Gesetzeslücke straflos
Kein ärztlicher Abrechnungsbetrug bei Verschweigen von („Bestechungs“-) Zahlungen eines Pharmaherstellers – von Prof. Dr. Erik Kraatz und Dr. Thomas Schulte ( http://www.dr-schulte.de )
Seit August 2013 steigt der Druck auf internationale Pharmakonzerne wegen Korruption im chinesischen Gesundheitswesen. In China, nach den USA und Japan der drittgrößte Pharmamarkt der Welt, ist zwar Korruption schon lange an der Tagesordnung und macht bereits rund 40 % der dortigen Medikamentenpreise aus. Aber erst jetzt, wo der weitere Ausbau und die Anpassung der Gesundheits- und Sozialsysteme an den demografischen Wandel ansteht, geht die chinesische Regierung unerbittlich das Problem an: Glaxo SmithKline, Novartis oder auch Bayer sind in das Visier der chinesischen Behörden geraten. Vier Mitarbeiter von Glaxo SmithKline sollen wegen der Bestechung mit Lustreisen schon verhaftet worden sein, ein Mitarbeiter des britischen Unternehmens AstraZeneca wurde zur Befragung festgehalten (vgl. Köckritz/Kunze, Die Zeit, 22.8.2013).
„Geschenke auf Rezept“? – Gesetzgebung erklärt die Bestechung für straflos:
Und was passiert in Deutschland, wo die Gesundheitsausgaben sich auf einem hohen Niveau eingependelt haben (2011: 293,8 Milliarden Euro = 11,3 % des Bruttoinlandsprodukts) und wo gleichermaßen die Bestechung auch niedergelassener Vertragsärzte mit „Kopfprämien“, dem kostenlosen Zurverfügungstellung hochwertiger medizinischer Geräte oder Barzahlungen für die bevorzugte Verschreibung von Medikamenten eines bestimmten Pharmaherstellers („Geschenke auf Rezept“) keine Seltenheit mehr ist? Hier sorgte der Große Senat in Strafsachen (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.3.2012 – GSSt. 2/11) im letzten Jahr für einen Paukenschlag und erklärte die Bestechung niedergelassener Vertragsärzte für straflos:
Eine Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 des Strafgesetzbuchs) verlange das Annehmen eines Vorteils insbesondere des Beauftragten eines geschäftlichen Betriebs für die unlautere Bevorzugung im Wettbewerb. Der Vertragsarzt sei jedoch kein „Beauftragter“ der Krankenkasse, da er nicht Weisungen der Krankenkasse unterstehe, sondern nach § 72 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs kooperativ mit diesen zusammenwirke.
Zudem fehle für eine Bestechlichkeit (§ 331 des Strafgesetzbuchs) dem Vertragsarzt die notwendige Amtsträger-Eigenschaft im Sinne des § 11 Absatz 1 Nr. 2c des Strafgesetzbuchs, da er keine öffentliche Aufgaben wahrnehme: Eine Gesamtschau der sozialrechtlichen Normen des gesetzlichen Vertragsarztkonzepts ergebe vielmehr, dass für die Tätigkeit des Vertragsarztes das persönliche Vertrauensverhältnis zum Patienten im Vordergrund stehe. Der Aufschrei in der Gesellschaft (und insbesondere in den Medien) über die Strafbarkeitslücke (trotz an sich ausdrücklichem Verbot in § 128 Absatz 2 des Fünften Buchs des Strafgesetzbuchs) war groß: Denn kann man seinem Arzt noch vertrauen, wenn man befürchten muss, dieser verschreibe einem ein Medikament nicht deshalb, weil es das für den Patienten wirksamste und am besten geeignete Medikament ist, sondern weil er vom Pharmaunternehmen hierfür (besser?) bezahlt wird.
Korruptionsverdacht schädigt die Vertrauensbasis massiv zwischen Patient und Arzt
Nachdem der Bundesgesundheitsminister bereits in einer aktuellen Stunde im Bundestag am 28. Juni 2012 eine Überprüfung der rechtlichen Situation ankündigte, verabschiedete der Bundestag in diesem Jahr zwar „versteckt“ in einem „Gesetz zur Förderung der Prävention“ einen allumfassenden Korruptionstatbestand im Gesundheitswesen (§ 307c des Fünften Buch des Strafgesetzbuchs); die rot-grüne Bundesratsmehrheit ließ diesen Gesetzesentwurf in seiner letzten Sitzung vor der Bundestagswahl (20.9.2013) scheitern, weil der Gesetzesentwurf eine Strafbarkeit nur in der Bestechung durch Leistungserbringer des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs erblickte, nicht aber, wenn ein Arzt hinsichtlich der Behandlung eines Privatpatienten bestochen würde – die Folge wäre eine „Zweiklassenmedizin“ gewesen, nur dies mal umgekehrt. Daher plädierte die Länderkammer (wie deren Gesundheitsausschuss) stattdessen dafür, „die gesetzlichen Regelungen zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen in das Strafgesetzbuch einzufügen.“ Solange dies noch nicht geschieht, konnte sich der Bürger zumindest damit trösten, dass neben berufsrechtlichen Konsequenzen im Einzelfall eine Strafbarkeit wegen Betrugs oder Steuerhinterziehung droht.
Hohe Anforderungen beim Abrechnungsbetrug
Für einen Abrechnungsbetrug in derartigen Fällen hat das Amtsgericht Ulm (Urt. v. 28.1.2013 – 1 Ns 37 Js 9933/07) inzwischen jedoch hohe Anforderungen gestellt. Zwei Ärzten wurde vorgeworfen, in ihren Quartalsabrechnungen die Zahlungen eines Pharmaherstellers iHv 19.180 Euro für die bevorzugte Verschreibung von deren Medikamenten verschwiegen (und damit nicht honorarmindernd berücksichtigt) zu haben. Einen Betrug durch Unterlassen verneinte das Amtsgericht jedoch aus gleich zwei Gründen:
Die für ein Unterlassen notwendige Garantenstellung fehle, weil den Arzt keine vermögensrechtliche Aufklärungspflicht (Vermögensfürsorgepflicht) gegenüber der abzurechnenden Kassenärztlichen Vereinigung treffe. Geschädigt seien könne nicht die Kassenärztliche Vereinigung, da sie nur die Zahlungen der Krankenkasse an den Arzt weiterreiche. Allenfalls die weiteren Ärzte in der Kassenärztlichen Vereinigung könnten geschädigt werden, weil durch eine höhere Abrechnung der Täter weniger Geld für die Honorare der übrigen Ärzte zur Verfügung stehe. Doch der bei ihnen entstehende Schaden (verminderte Honorierung von außerhalb von Regelleistungsvolumen und qualifikazinsbedingtem Zusatzvolumen erbrachten ärztlichen Leistung) sei nicht – wie für einen Betrug erforderlich – stoffgleich („Kehrseite der Medaille“) mit dem Vorteil (Auszahlung des vollen Honorars ohne Abzug der Pharma-Zahlungen) der Täter.
Fazit:
Es steht zu befürchten, dass sich einige Vertragsärzte durch dieses Urteil darin bestärkt sehen werden, sich weiterhin von der Pharmaindustrie „schmieren“ zu lassen, weil sie die Verhängung berufsrechtlicher Konsequenzen (wie die praktische Durchsetzung zeigt) nicht wirklich fürchten müssten. Dr. med. Gotfried von Knoblauch zu Hatzbach, Präsident der Landesärztekammer Hessen, kann daher nur nachdrücklich widersprochen werden, als er am 1. August 2013 äußerte „Wir brauchen keine neuen Gesetze, sondern eine konsequente Anwendung der bestehenden.“ Vielmehr kann die Politik nur aufgefordert werden, diesen unhaltbaren Rechtszustand zu beseitigen und endlich das unter Strafe zu stellen, was längst gesellschaftlicher Konsens ist!
V.i.S.d.P.:
Prof. Dr. Erik Kraatz
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